Um das vereinbarte maximale Limit von 1,5-Grad Erderhitzung zu schaffen, gibt es eine wissenschaftlich errechnete Rest-Menge an Treibhausgas, was noch in die Atmosphäre entlassen werden darf die nächsten Jahre. Danach muss die Welt klimaneutral leben und wirtschaften. Die taz hat auf ihrer Schwerpunktseite-Klimakrise diese Uhr nun angepasst auf Grundlage neuer Studien. Plötzlich bleiben nur noch 3 statt 5 Jahre Jahre bis wir klimaneutral leben und wirtschaften:
Die traurige Nachricht der letzten Wochen (und Monate)
Das 1,5 Grad Ziel wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erreicht werden. Der Planet wird sich zukünftig mehr als 1,5 Grad erhitzen.
Klimaforscher Stefan Rahmstorf hatte dies ebenfalls kürzlich in einem Interview bestätigt:
Er betonte, rein physikalisch sei es noch möglich, unter dem Wert von 1,5 Grad zu bleiben. Nur habe bei den allermeisten Regierungen der Klimaschutz keine Priorität.
Rahmstorf führte aus, man müsste das Thema anpacken, „wie wenn man in einer Kriegssituation ist und das einfach die Top-Priorität hat.“ Es fehle nicht an Lösungen, es gebe auch bereits die nötigen Technologien, doch es fehle der politische Wille – auch bei Bundeskanzler Scholz.
„Es mangelt am Willen“ – Klimaforscher Rahmstorf hält 1,5-Grad-Ziel politisch kaum noch für erreichbar (31. Juli 2023)
Diskutiert wurde diese drohende Niederlage natürlich schon länger. Im Februar kam die „Hamburg Climate Futures Outlook“ Studie ebenfalls zum Ergebnis: „1,5-Grad-Ziel nicht plausibel: Gesellschaftlicher Wandel wichtiger als physikalische Kipppunkte“.
Die Menschheit als wirtschaftlich-soziale Gesamtheit (Mark Benecke) hat also versagt. Und dies obwohl alle Staaten der Welt die Pariser Klimaziele unterschrieben und in Gesetze überführt (ratifiziert) haben.
Gleichzeitig muss nun weiterhin um jedes Zehntelgrad weniger Erhitzung gekämpft werden -ein Kraftakt angesichts dieser Niederlage. Denn es gilt weiterhin: je heißer, desto schwieriger (und lebensgefährlicher) wird das Leben auf dem Planeten. Hier eine (noch etwas ältere) Grafik:
Der neue IPCC Jim Skea hat sich hierzu erstmals ebenfalls zu Wort gemeldet in seiner neuen Funktion:
Der neue Chef des Weltklimarates warnt vor übertriebenen Befürchtungen bei einem Verfehlen des 1,5 Grad-Ziels. „Dieses Temperaturziel ist unglaublich symbolträchtig“, sagte Jim Skea in einem Interview mit dem „Spiegel“. „Trotzdem sollten wir nicht verzweifeln, wenn die Welt die 1,5 Grad überschreitet.“ Die Welt werde dann nicht untergehen. „Es wird jedoch eine gefährlichere Welt sein. Die Länder werden mit vielen Problemen kämpfen, es wird soziale Spannungen geben.“
Von Untergangsszenarien im Zusammenhang mit dem Klimawandel hält Skea nichts. „Wenn man ständig nur die Botschaft aussendet, dass wir alle dem Untergang geweiht sind, dann lähmt das die Menschen und hält sie davon ab, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um mit dem Klimawandel fertig zu werden“, sagte er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
Er habe mit Co-Autoren bei den jüngsten Berichten des Weltklimarats immer Wert darauf gelegt, den „Silberstreif am Horizont“ zu sehen. Die Technologien und Instrumente, um den Klimawandel einzudämmen seien vorhanden, sie müssten nur auch angewendet werden. „Die Zukunft des Menschen liegt in unserer Hand. Nutzen wir das“, sagte Skea.
[…]Die IPCC-Berichte sind die wichtigste Grundlage für politische Entscheidungen zur Eindämmung des Klimawandels. Die nächsten Berichte sind Ende der 2020er Jahre zu erwarten. „Engagiert euch!“, sagte Skea an die Adresse aller Erdenbürger. „Sitzt nicht auf dem Sofa und schaut den Debatten über den Klimawandel zu. Jeder Einzelne kann etwas tun.“ Skea verwies auf Bürgerinitiativen, aber auch Bürgerdialoge städtischer Behörden oder Wahlen auf kommunaler Ebene. „Dort werden viele der wichtigsten Entscheidungen gefällt werden.“
Der Weltklimarat (IPCC) müsse selbst auch mehr tun, um seine spezifischen Erkenntnisse besser als Handlungsgrundlage für bestimmte Gruppen aufzubereiten. Skea nannte Stadtplaner, Landwirte oder Unternehmen. „Bei dieser ganzen Sache geht es um echte Menschen und ihr reales Leben, nicht um wissenschaftliche Abstraktionen“, sagte er. „Wir müssen ein Stück runterkommen.“
Klimarat-Chef hadert mit Untergangsszenarien – Tagesschau (Juli 2023)
Dies wurde kontrovers diskutiert, u.a. mit der Kritik dass es ja keineswegs Grund zur Entwarnung gibt. Barabara Junge (taz) fragte daher beispielsweise: „Brauchen wir mehr Panik oder mehr Zuversicht in der Klimadebatte?“ (Instagram).
Update 14.08.2023: Der Beitrag von Barbara Junge ist nun online: https://taz.de/Optimismus-in-der-Klimakatastrophe/!5949824/
Ich bin gespannt, wie diese Diskussion hier die nächsten Wochen und Monaten weiter geht. Aus meiner Laien-Sicht dürfte nun Geo-Engineering immer mehr in den Fokus rücken.
Konstruktive Hoffnung: Ohne die Pariser Klimaziele, ohne hartnäckige Klimawissenschaft, ohne Aktivist:innen weltweit würden wir vermutlich jetzt bereits in einer +3 oder mehr Grad heißen Welt leben und auf noch höhere Szenarien zusteuern. Der Zubau der erneuerbaren Energien hätte weltweit ohne dieses Engagement ebenso nicht Fahrt aufgenommen, die Transformation der Wirtschaft wäre kein Thema, etc. Es sind trotz des Verfehlens der Ziele Transformationsprozesse in Gang gesetzt worden, die weiterhin laufen. Mental muss man sich als Inviduum und als Gesellschaft dennoch auf herausfordernde Zeiten einstellen.
Der nächste globale Klimastreik ist am 15.9.2023, um Druck auf politische Akteur:innen zu machen (und sich nicht allein zu fühlen mit diesen Nachrichten).
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